Der Digitale Traum erwacht

Erinnern wir uns - als Neo erwachte, fand er sich in einer alptraumhaften Realität wieder. Er erkannte, dass sein Dasein nur einem Zweck diente - eine biologische Energiezelle zu sein, und zwar für die Maschinen die nun die Welt kontrollierten. Er erkannte, in welcher Wirklichkeit er existierte. Eine Wirklichkeit, die irgendwann von seinesgleichen geschaffen wurde. Er hätte nun zurückkehren können in die virtuelle Realität, in der er ein vergleichsweise einfaches Leben hatte. Allerdings erkannte er sehr schnell, dass es um viel mehr ging als um seine Existenz. Es ging um Selbstbestimmung, und um die Freiheit aller Menschen. Wie es so weit kommen konnte? Am Anfang stand das Versprechen ...


Das Versprechen - Technologie kann Menschen begeistern. Unmögliches möglich machen. Sie verbindet Menschen miteinander. Vernetzt sie. Befreit sie von schweren Lasten. Mit ihr werden Träume wahr. Kontinuierlich entstehen neue Geschäftsmodelle. Ihr Versprechen: Alles schneller und einfacher. Sie ist der Motor unserer Gesellschaft. Erinnern wir uns an den Apple Spot „1984“ – selten wurde das Versprechen so deutlich zum Ausdruck gebracht wie in diesen 30 Sekunden. Seitdem wurde es unendlich oft wiederholt. Und wir alle kennen diesen Grundsatz der Propaganda: erzählt man eine Lüge oft und laut genug, wird sie nach und nach zur Wahrheit. Und wenn wir von Propaganda sprechen, dann sollten wir eventuell einen heutzutage gängigeren Begriff nutzen: die Unterhaltungsindustrie.


Die Unterhaltungsindustrie - speziell die Computerbranche erlebt durch den Aufstieg der Online Games eine Renaissance von gigantischem Ausmaß. Allein in Deutschland erwirtschaftet die Gaming-Branche mit ca. 2,7 Mrd. Euro mehr als die Fußball Bundesliga. Im weltweiten Vergleich (ca. 85 Mrd. Euro) liegt der Umsatz in Deutschland bei etwa bei 2,5 % Marktanteil. Laut einer Bitkom Studie spielen ca. 42% der Menschen in Deutschland PC- bzw. Videospiele. Allein der Umsatz der Online Games in Deutschland betrug 2015 ca. 700 Mio. Euro. und hat ein jährliches Wachstum von mehr als 15%. Dieser Handel mit nicht-materiellen Gütern wird mit harter Münze finanziert, und er wächst. Spieler investierendem ihr Geld, um Ihre Avatare (Digitale Alter Egos) kosmetisch zu verändern oder Ihnen höhere Fähigkeiten zu verleihen, sie zu individualisieren. Sie verleihen ihnen eine persönliche Note. Der materielle Wert eines Avatars ist gleich Null, der emotionale Wert jedoch - unbezahlbar. Damit wären zwei Konstanten des menschlichen Verhaltens auch in der digitalen Welt bewiesen: der Wunsch nach Einzigartigkeit und der Wunsch nach Selbstverwirklichung.


Der Wunsch aktiv am (Spiel-) Geschehen teilzunehmen, und selbst ein Akteur zu sein ruht in nahezu jedem von uns – und nur wenigen ist es in der Realität vergönnt dies wirklich zu sein. Menschen wollen am Geschehen teilhaben, selbst wenn es für das „eigentliche Weltgeschehen“ keinerlei Bedeutung hat.


Eine These - Der Wunsch nach Selbstbestimmung und das Gefühl etwas beeinflussen zu können, gepaart mit einem Belohnungssystem, sowie der Möglichkeit zu agieren, ohne reale Konsequenzen fürchten zu müssen. Jemand zu sein, der man in der Realität niemals sein kann. Erfolg zu haben, auch unter schwierigen Bedingungen, und dennoch ohne Druck. Selbst die Geschwindigkeit bestimmen, mit der man voranschreitet. Den Sinn einer Handlung entdecken, und vieles mehr. Sich mit anderen in Form von öffentlichen Ranglisten zu messen, ohne Bloßstellung oder Entlassung zu fürchten. Der Wettbewerb, der Sieg und die Niederlage werden in der Gamer-Welt akzeptiert, aber im realen Leben sind dies Kategorien die über alles entscheiden können.


Was hat das mit Digitalisierung oder der sogenannten Digitalen Transformation zu tun ?


Die Gamification - In der Softwareentwicklungsbranche wird über neue Entwicklungskonzepte von Anwendungen unter Berücksichtigung der sogenannten „Gamification“ nachgedacht, mit dem Ziel das „spielerische“ Element, der Gaming-Branche einfließen zu lassen, um somit z.B. die Akzeptanz, sowie den Nutzen von Unternehmenslösungen zu verbessern. Gamification kann bei den Nutzern ein Gefühl erzeugen, welches allgemein auch als „Flow“ bekannt ist.


Ein Eintrag auf Wikipedia bezeichnet Flow als ein:


“...beglückend erlebtes Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit („Absorption“), die wie von selbst vor sich geht – auf Deutsch in etwa Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch oder auch Funktionslust.“ 


Die Motivation - Nutzer wollen einen Anreiz haben um etwas zu tun. Allein eine intrinsische Motivation reicht nicht mehr aus, um ein langweiliges Programm zu nutzen. In der virtuellen Realität eines Onlinegames steigen die Schwierigkeitsstufen kontinuierlich an, die Belohnungen hierfür ebenso. Ein Gamer der Stufe 1 meistert erhält eine angemessene Belohnung, und ein Gamer der Stufe 10 meistert ebenso. Der Weg von Stufe 1 bis 10 beinhaltet messbaren und spürbaren Fortschritt, sodass mit jeder weiteren Stufe auch neue Fähigkeiten erlernt werden können, sozusagen Schritt für Schritt mehr Verantwortung auf den Gamer übertragen werden, und dieser neue Handlungsmöglichkeiten erschließen kann. Alles das geschieht im Flow Zustand. Insofern schafft Gamification zwei Dinge: 1) sie etabliert einen spielerischen Anreiz im Umgang Anwendungen und 2) macht Erfolge in Realtime messbar. Wer mal Kind war erinnert sich daran, dass spielen Spaß macht. 


Virtual Reality wird die nächste Revolution im Digitalen Zeitalter sein und es weiter fördern, und somit die Möglichkeit noch tiefer in beliebige virtuelle Welten einzutauchen. Ob es für ein „greater good“ dient ist und bleibt offen. Der Übergang zwischen einer digitalen „gameifizierten“ Wirklichkeit und der analogen Welt wird fließende Übergänge haben. Und eins ist klar, es wird Menschen geben, die vor der gleichen Entscheidung stehen werden wie einst Neo, und lieber die blaue Pille nehmen, statt die rote. Um der Wirklichkeit zu entfliehen. Nur welcher ? 


Neue Geschäftsmodelle - Wenn wir unsere Großeltern oder Eltern fragen, hätte es keiner für möglich gehalten, dass man ohne etwas zu besitzen, also quasi aus dem „Nichts“, Geld verdienen kann. Wer hätte jemals gedacht, dass eines Tages z. B. das weltgrößte Taxiunternehmen keine Taxis besitzt, oder der größte Filmanbieter keine eigenen Kinos, die größten Telefonanbieter keine eigene Infrastruktur mehr betreiben. Es sieht ganz danach aus, als erlebten wir eine erneute industrielle Revolution. Alles steht Kopf, oder wird zumindest in Frage gestellt. Der technologische Fortschritt macht im Moment Quantensprünge, und selbst Einsteins Theorie zu Gravitationswellen wurde bewiesen und eröffnet der Welt neue Wege. Alles geschieht in Highspeed, und für manche Menschen zu schnell. 


Der Ausblick – In der Zukunft werden viele Menschen von der Last Ihrer bisherigen Arbeit befreit, und können sich neuen, essentielleren Dingen widmen. Die Selbsterkenntnis, die Gesundheit und das Leben selbst werden neue Wichtigkeit erlangen. Re-Creation. Ob es dann noch ein selbstbestimmtes, oder ein wirklich erstrebenswertes Leben ist sei an dieser Stelle offen gelassen. Wir wissen es nicht. Doch die bevorstehende Zeit erfordert viel Kraft und Mut und den unbedingten Willen Veränderungen positiv zu sehen und mitzugestalten. Hören wir auf nur die Herausforderung und Gefahr zu sehen - es kann auch bedeuten, dass wir uns in ein Modell einer besseren Gesellschaften entwickeln. Einer Gesellschaft, die sich der Entwicklung, Erhaltung und Entfaltung der eigenen Spezies widmet, um in Galaxien vor zu dringen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. 


Das ist eine schöne Utopie.

  

Text: B.Pieper und T.Baus

 


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