Veränderung

ÜBER VERÄNDERUNG - GEDANKENFRAGMENTE


Menschen sind seit Geburt an Veränderungsprofis - denn sie haben keine Wahl.


Aktuell ist das Streben nach Glück und die Job- und Lebenszufriedenheit der Menschen in vielen Kolumnen und Netzwerken hoch aktuell, wird wiederkehrend thematisiert und teilweise auch zelebriert.  Kaum ein Format beschäftigt sich nicht mit den Themen Veränderung bzw. Transformation, und „Veränderungsexperten“ jedweder Fachrichtung erklären uns die Gegenwart und die Zukunft eines zufriedeneren Lebens. Bezogen auf die beruflichen Aspekte unseres Lebens, muss sich dort unbedingt jeder Mensch die Frage stellen, ob Ihn sein Job glücklich macht. An manchen Stellen erfolgt regelrecht der Aufruf zum „in Frage stellen“ seiner aktuellen Situation und der inneren Zufriedenheit. Regelmäßige Sinnkrisen werden heraufbeschworen und ausgelöst, man könnte manchmal fast meinen wir haben alle den „falschen“ Job, bzw. die falsche Entscheidung getroffen. Schuld sind ja die Unternehmen, die Ihre Mitarbeiter emotional ausbeuten, und schlechte Führungskräfte, welche als trommelnde Agitatoren den Rhythmus der Unternehmenshierarchie wiedergeben. 


Wer nicht mitrudert, der wird ausgecheckt. Unternehmen stehen in der ständigen Kritik den Menschen, fast schon systematisch, krank zu machen und Ihn aktiv an seinem Erreichen von Glück, Sinn und Erfüllung zu hindern. 

Allem voran die Führungskräfte, und dabei handelt es sich meines Wissens nach durchaus nach wie vor in der Regel auch um Menschen, sehen sich regelmäßig in Frage gestellt, schlecht gemacht, und müssen dabei noch Freude empfinden ihren Job zu machen. 


Prophylaktisch werden Wertemodelle sowie Firmenkultur so verschrieben, dass der Placeboeffekt möglichst lange anhält. Nur mit dem Vorleben scheitert es manchmal, und dann ist es Zeit für Veränderung. 


Ich verfolge viele dieser Diskussionen, online, offline, inline, whatsoever.... und Stelle für mich fest, dass hier wieder mal eine Sau durch das Dorf getrieben wird, aber niemand weiß eigentlich so richtig warum!


CHANGE


Veränderung ist wichtig ! Warum ?

Ich muss stets bereit sein mich zu verändern ! Warum ?

Veränderung ist gut ! Warum ?

Wer sich nicht bereit erklärt mitzumachen ist doof ! Warum ?


Das sind in letzter Zeit Fragen, die sich in mein rebellisches Gehirn einnisten. Mir geht dieser fast schon mantrisch-verpflichtende Veränderungsgesang ganz schön auf die Nerven. Warum ? Weil viele mitsingen ohne sich Gedanken über den Text zu machen. Wir alle leben doch in ständiger Veränderung. Jeder Tag ist anders als der Tag zuvor. Dazu muss ich nur einen Blick auf die Spritpreise werfen +- 10 % jeden Tag. Oder das Wetter - heute schön, morgen regnets. Oder mich selbst im Spiegel anschauen.... na ja, lassen wir das. Auf der Metaebene betrachtet ist alles ein entropischer Prozess. Alles zerfällt. Langfristig gesehen. Das Leben ist tödlich, aber dieser Tatsache entsagen sich viele Menschen naturgemäß. Es ist natürlich schöner an das Leben zu denken, das hier und jetzt, statt an den Tod. Es ist eine verständliche Vermeidungsstrategie, wir ignorieren die Tatsache, das unsere hiesige Existenz  enden wird, bis zum Schluss. Wir wollen nicht wahr haben, dass es überhaupt ein Ende gibt. Todsicher ! Aus diesem Grund glaube ich auch, dass es vollkommen natürlich ist, quasi veranlagt, Veränderung zu vermeiden, solange es einem gut geht. 


Ich bin jedoch auch davon überzeugt, wenn ich in etwas einen Sinn erkenne, zum Beispiel in dem Ziel meine Leben dahingehend eine Bedeutung zu geben etwas zu hinterlassen, an das man sich erinnern kann, dann sieht die Sache doch schon etwas anders aus. Dann mache ich mit ! Das ist so ein bisschen wie auf den „legendären“ Partys unseres Lebens, an die wir uns auf jeden Fall erinnern. Das hat Spaß gemacht, ich habe mitgemacht, ich war dabei.


VERGLEICHEN FÖRDERT VERÄNDERUNG


Ich habe mal in meinem Lieblingsbuch Hectors Reise, oder auf der Suche nach dem Glück gelesen: „Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel, sich sein Glück zu vermiesen.“ Warum schreibe ich das hier ? Weil ich glaube, dass wir uns in unserer Gesellschaft ständig vergleichen. Mit allem und jedem. Es ist quasi imminent. Wir lernen schon als Kinder uns in das System einzuordnen, zu funktionieren, weshalb es auch so wichtig ist viele Dinge auswendig zu lernen, damit alle den gleichen Wissensstand haben. Damit alles vergleichbar ist. Standards eben. Aber es gibt keinen Standard für zB Kreativität, Innovation oder das Leben. Irgendwann erkennen manche Menschen, dass sie nicht als Standard klassifiziert werden wollen. 


"STANDARD" - DEUTUNGSVERSUCH


Den Stellenwert, den „Standard“ oftmals hat, ist für diejenigen vergleichbar mit Durchschnitt, und der gilt als Mittelmäßig, und Mittelmaß ist nicht gut, also schlecht. Aus diesem Grund wollen wir uns auch gerne abheben bzw. vom Standard abheben - sprich: differenzieren. Damit bewegen wir uns gedanklich per se schon mal weg von der Mittelmäßigkeit, zum non-Standard. Für Differenzierung ist es notwendig sich anders aufzustellen als sie anderen. Dafür muss man sich verändern, et voilá, wir sind in ständiger Bewegung bzw. Transformation. Warum „transformieren“ wir uns also ? Weil wir anders sein wollen. Nämlich besser! Weil wir glauben, dass anders besser ist, und weil wir uns nicht mit dem Mittelmaß vergleichen lassen wollen. So langweilig sind wir nicht. Besser ist Vorsprung, ist beliebter - ist einfach Elite.


Nun, was im schleichenden Unbewusstsein abläuft, das läuft in Organisationen ganz offen ab. Man nennt es auch „Wettbewerbsvorteile“ erkennen, aufbauen und nutzen. Der USP, der Unique Selling Point, muss für andere Marktbegleiter unerreichbar sein. Insofern sind die Veränderungsprozesse, welche mit dem Mantra des Minnesang-Managements ständig intoniert werden der allgemeine Aufruf des besser-sein-müssens. Es müssen doch alle erkennen, wie sinnvoll Veränderung für den Shareholder (Aktionär) ist. Profitabilität, Marktvorsprung, Innovation, Dividende, und nicht zu vergessen Arbeitsplatzsicherheit. Das sind (Überlebens)wichtige Argumente der Transformationsagenten. Dafür muss man viel sein, vor allem „agil“.


Ein beginnender Changeprozess im Unternehmen ist der Startschuss für alle Sozialdarwinisten ;-) nicht aus Nächstenliebe, sonder aus Liebe zur Effizienz und zur Profitabilität. Damit das große Ganze überlebt, nicht der einzelne Mensch.


Ja, verwirrend für manche. Aber logisch.


Weil zB irgendeine Managementberatung der Exekutive mitgeteilt hat, dass sie im Vergleich zum Wettbewerb X % schlechter dastehen, und wenn sie sich nicht transformieren, sie bald in die Bedeutungslosigkeit abdriften. Die Galeere steuert quasi auf den Rand der Welt zu. Plötzlich herrscht Angst im Management, und die Welt droht unterzugehen. Kein Mensch hinterfragt die Notwendigkeit dieser Profitabilitätssteigerung auf Kosten der Menschen, die sich jahrelang in der Unternehmenskultur Zuhause fühlten. 


Es kommt natürlich schnell die Frage auf: Warum machen wir das ? Ach ja die Zahlen….


DIE REALITÄT IST DEIN ENDGEGNER


Leider ist es dann so, dass die Lebensverwirklicher, die Jäger nach dem verlorenen Glück und Sinnsucher unter den Kollegen plötzlich mit dem ultimativen Endgegner konfrontiert werden: der Realität. Und die Rahmenparameter, welche die Realität so mit sich bringt nimmt keine Rücksicht auf eine individuelle oder von Gesetzeslagen ermöglichte Lebensgestaltung. Dann ist es ja ganz nett, dass die Politik ein paar Blumenbeete des Arbeitsrechts an der stark befahrenen Autobahn des Fortschritts pflanzt, oder Raststätten der Elternzeit baut, in der Hoffnung Familienzusammenhalt zu fördern (bei gleichzeitigem Einkommensverlust und erhöhtem Jobrisiko) und glaubt dabei sozial zu sein. Es sind zarte Versuche den Menschen die unaufhaltbare und stetige Veränderung etwas angenehmer zu machen. Das wirkt wie Propophol - aber irgendwann eben auch nicht mehr.


Ja, es gibt einige wenige Menschen, welche die Superpower des sogenannten „Realitätsstörungsfelds“ besitzen, und die tatsächlich dazu in der Lage sind eine Delle ins Universum zu hauen - das sind so etwa 5-10 Menschen von 7 Milliarden.


Die meisten anderen folgen den Standards bzw. Massenglaubenssätzen der unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften, die sie so in der Schule gelernt haben, bis hin zu: „Du kannst alles schaffen, Du musst es nur wollen - Chakka !“


WOLLEN UND KÖNNEN


Es kann nicht jeder alles werden oder sein. Es gibt Ausnahmen, ja ! Bewundernswerte Ausnahmen, die und begeistern, inspirieren, staunen und träumen lassen. Die uns Hoffnung geben, das es möglich sein kann, wenn man es versucht. Aber es gibt keine Garantie, und schon gar kein per Geburt erlangtes Anrecht auf Glück. 


Diese Illusion baut aber der Veränderungsgedanke konsequent auf. Das Versprechen: danach wird alles besser sein. Ja ? Wirklich ? Und das wissen wir woher genau ? 


Wenn ich die mir bekannten Changemanager um mich herum frage: Wieviele Changes sind denn wirklich gelungen, und warum ? Dann ist die Antwort meistens ernüchternd. Viele Wollen es doch, aber kaum einer kann es. 


Größter Change Verhinderer sind im übrigen nicht die daran teilnehmenden Menschen, die ja per se alle Profis in der Veränderung sind ( ich erinnere hier an die Entropie ), sondern schlechte Kommunikation. Denn Kommunikation erfordert Zeit, und Zeit haben wir (vor allem im Management) in der Regel nie. Also her mit den Parolen, den Placebos und dem Erfolgsversprechen: Wir schaffen das ! Du musst es nur wollen.


Es ist meiner Meinung nach überhaupt keine Frage ob Menschen Veränderung wollen. Sie sind ja alle mittendrin. Ständig. Manche erkennen es nur nicht.

Dem Menschen zu unterstellen er sei nicht Veränderungsbereit ist eine grobe Untertreibung. Er ist aber eben instinktiv und von Natur aus nicht bereit sich dem Willen eines Individuums oder eines Systems zu unterwerfen, das mit seinen Plänen etwas erwirken will, was sich für Ihn nicht erschliessen lässt.


WAS SINN ERGIBT


Je mehr sich ein Mensch mit einer Sache identifiziert, desto eher ist er bereit sich für diese Sache einzusetzen. Wenn also der nächste Transformationsprozess angekündigt wird, macht man sich besser mal Gedanken darüber wie sehr sich die Menschen mit der Sache, der Kultur, dem Unternehmen identifizieren, und ob dies auch wirklich gelebt wird. Ein probates Messinstrument für eine Unternehmensführung sollte daher neben den klassischen Kennzahlen eben auch die Mitarbeiterzufriedenheit sein. Sind wir, was wir glauben zu sein.


Manchmal habe ich den Eindruck, als hätte ein Mitarbeiter überhaupt keinen Stellenwert, ausser funktionieren zu müssen, nach bestimmten Regeln und Vorgaben. Dabei ist es völlig egal welche Position der Mitarbeiter aktuell ausfüllt. Tayloristisch gesehen sinnvoll. Menschlich gesehen nicht. 


Wir sind alle empfindsame Wesen, wollen geliebt, gewertschätzt, und vor allem ernst genommen werden. Wir wünschen uns ein sinnerfülltes Leben. Sinn empfinde ich auch, wenn mein Gegenüber ab und zu sagt: Toll gemacht. Nur ist das positive Feedback bei vielen Menschen zu selten in Gebrauch. 


Was wir tun ist Teil eines Ganzen, und das ist mehr als die Summe seiner Teile. Manche Menschen vergessen das, und glauben daher Dinge verändern zu müssen. Weil sie übersehen, dass eigentich alles schon da ist, nur hat man es vergessen.